(Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld
Fast zeitgleich mit der Ankündigung der Bundesregierung, einige Modellstädte für besonders guten ÖPNV zu definieren, kam eine weitere Meldung über den Ticker: Die lebenswerteste Stadt der Welt ist nach Berechnung bestimmter Formeln durch Institutionen, die dafür qualifiziert sind, die österreichische Hauptstadt Wien. Es ist nicht Adelaide, Montréal oder Paris, sondern Wien: Eine Stadt, von der man gerade in puncto ÖPNV lernen kann und sollte.
Denn Wien hat einen Modal Split, bei dem die politisch verantwortlichen Personen allen Grund haben, ihn öffentlich zu kommunizieren: Der ÖPNV hat mehr Anteile am Verkehrsaufkommen als das Auto. Während wird es in Deutschland regelmäßig mit manipulativer Argumentation durch die Eisenbahnbranche zu tun haben und man versucht, den auf niedrigem Niveau konstanten Modal Split mit gestiegenen absoluten Fahrgastzahlen wegzuargumentieren, hat man das in Wien nicht nötig.
Da wurden genau die Erfolge erzielt, die man in Deutschland bislang nicht vorzuweisen hat. Vor einigen Jahren hat der damalige Bahnchef Rüdiger Grube die Sache sogar komplett ad absurdum geführt: Das Fahrgastaufkommen im DB-Konzern hätte sich besser entwickelt als die Zahl der PKW-Neuzulassungen. Das sei der Beweis, dass die Schiene im Trend läge. Aber seien wir ehrlich: Das bewies allenfalls, dass Herr Grube sich selbst für die absurdeste Fehlargumentation nicht zu schade war.
Gucken wir dafür doch mal nach Wien: Die haben nämlich genau das 365-Euro-Jahresticket, über das auch in Deutschland diskutiert wird. Das muss man natürlich finanzieren, weil damit zunächst kurzfristig sinkende Umsätze verbunden sein könnten. Aber auf der anderen Seite sind solche leicht merkbaren Angebote auch gut geeignet, damit Autofahrer ihre Scheu verlieren. Natürlich reicht das nicht. Es muss ein qualitativ und quantitativ hochwertiges Angebot geben.
Auch das muss finanziert werden, aber die Finanzierung ist nicht alles. Es braucht eine durchgehende Reisekette mit Fahrplänen, die aufeinander abgestimmt sind. Ein SPNV-Aufgabenträger oder ein Verkehrsverbund muss daher einem kommunalen Planungsamt gegenüber ein Durchgriffsrecht haben. Das heißt im Klartext: Wenn der Bus nach 20 Uhr noch alle Stunde vom Hauptbahnhof wegfährt und das womöglich noch kurz bevor der Regionalexpress aus der Landeshauptstadt kommt, dann muss man eine Stadt- oder Kreisverwaltung zwingen können, ihre Fahrpläne so zu konstruieren, dass eine Weiterreise für SPNV-Fahrgäste kurzfristig möglich ist.
Bei allem Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung, aber manche Dinge sind einfach zu wichtig, als dass jeder Dorfbürgermeister hier tun und lassen könnte, was er gerade will. Dazu gehört auch, dass Verkehrsunternehmen einem funktionierenden Controlling unterliegen. Es muss sichergestellt werden, dass Qualität und Leistung stimmen, ganz gleich, wer fährt. Wenn die Busse und Bahnen immer verdreckt und verspätet sind und sich dafür keiner für zuständig hält, dann haben wir ein Problem. Hier muss man sich Gedanken machen.
Stefan Hennigfeld
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